Ist § 15 Absatz 2 Satz 2 des Fahrlehrergesetzes verfassungswidrig?
Es bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung, die besagt, dass zur Wiedererlangung der Fahrlehrerlaubnis eine erneute Fahrlehrerprüfung absolviert werden muss, wenn nach deren Verlust mehr als zwei Jahre verstrichen sind.
Warum das so ist, wird im Folgenden anhand eines aktuellen Falles dargestellt.
Aufgrund einer außerdienstlichen Alkoholfahrt war einem Fahrlehrer im Jahre 1993 die Fahrerlaubnis entzogen worden, woraufhin ihm die Erlaubnisbehörde mitgeteilt hatte, dass seine Fahrlehrerlaubnis infolgedessen erloschen sei und er diese nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis neu beantragen müsse.
20 Jahre später wurde dem Fahrlehrer Mitte 2013 nochmals wegen einer privaten Alkoholfahrt die entzogen. Ein Schreiben oder anderweitige Mitteilung, dass seine Fahrlehrerlaubnis erloschen sei, erhielt er jedoch nicht. Ihm war aber bekannt, dass er ohne Führerschein nicht ausbilden darf und hielt sich genauestens daran, bis ihm seine Fahrerlaubnis im Frühjahr 2014 wieder erteilt wurde. Danach unterrichtete der Fahrlehrer wieder – bis Herbst 2020, als die Erlaubnisbehörde von diesem Umstand rund sechseinhalb Jahre später zufällig erfuhr.
Diese teilte dem erschrockenen Fahrlehrer daraufhin mit, dass seine Fahrlehrerlaubnis vor sieben Jahren erloschen sei und er umgehend seinen Fahrlehrerschein abgeben müsse, den er erst nach erneuter Beantragung und erneuter Fahrlehrerprüfung wieder bekommen könne.
Das sind die Fakten. Doch wie schaut es rechtlich aus? Hat die Behörde Recht? Muss der Fahrlehrer nach sechs Jahren wieder eine Prüfung ablegen, um seine Fahrlehrerlaubnis zu erhalten?
Auf den ersten Blick müsste man wohl der Behörde Recht geben.
Denn § 15 Absatz 2 FahrlG besagt, dass die Behörde auf eine Fahrlehrerprüfung verzichten kann, „wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die fachliche oder pädagogische Eignung nicht mehr besitzt. Der Verzicht auf die Prüfung ist nicht zulässig, wenn seit dem Erlöschen, der Rücknahme oder dem Widerruf der Fahrlehrerlaubnis oder dem Verzicht auf die Fahrlehrerlaubnis mehr als zwei Jahre verstrichen sind.“
Aber wie ist dann der Umstand, dass der Fahrlehrer erst im Jahr 2020 von der Behörde darüber informiert wurde, zu werten?
Denn der ist davon ausgegangen, es werde schon alles seine Richtigkeit haben. Daher kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass der Fahrlehrer wegen des nicht erfolgten Hinweises der Behörde über das Erlöschen seiner Fahrlehrerlaubnis, so gestellt werden müsste, als wenn die Fahrlehrerlaubnis mit Zugang des angegriffenen Bescheides erloschen wäre, vorausgesetzt, die Regelung des § 15 Absatz 2 Satz 2 FahrlG wäre in seiner derzeitigen Fassung verfassungskonform.
Daran bestehen jedoch Zweifel.
Denn insbesondere im Hinblick auf Sinn und Zweck dieser Vorschrift, wie er aus den Gesetzgebungsmaterialien erkennbar ist, können erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift entstehen. Vor allem wenn man sich die Entstehungsgeschichte der verkehrsrechtlichen Vorschriften im Allgemeinen und des FahrlG im Besonderen ansieht.
Die Entstehungsgeschichte
- Die Fahrlehrerverordnung vom 23. Juli 1957
Im Bundesgesetzblatt Teil I (BGBl I) Nr. 34 vom 31. Juli 1957 wurde auf Seiten 769 ff. die „Verordnung über Fahrlehrer im Kraftfahrzeugverkehr (Fahrlehrerverordnung)“ vom 23. Juli 1957 verkündet. In § 9 Abs. 2 der Fahrlehrerverordnung war geregelt:
„Die Fahrlehrerlaubnis erlischt, wenn dem Inhaber die Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen wird.“
Eine Regelung zur Neuerteilung der Fahrlehrerlaubnis nach Neuerteilung einer Fahrerlaubnis enthielt die Fahrlehrerverordnung nicht.
Die Fahrlehrerverordnung von 1957 hat der Bundesminister für Verkehr aufgrund seiner Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 3e des Straßenverkehrsgesetzes erlassen. Mit Urteil vom 01. Juni 1965 – I C 34/63 – (Verkehrsrechtssammlung Bd. 29 S. 238) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Erlaubnispflicht für den Betrieb einer Fahrschule nicht im Wege einer Verordnung eingeführt werden könne, weil die Ermächtigung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG den Willen des Gesetzgebers zu einer die Freiheit der beruflichen Betätigung einschränkenden Regelung nicht genügend konkretisiere. Das gleiche Urteil enthält die Feststellung, dass die mit der ständigen Ausweitung des Kraftfahrzeugverkehrs verbundene Zunahme der Fahrschulbetriebe es im Interesse der Sicherheit des Straßenverkehrs rechtfertige, nicht nur eine besondere Ausstattung der Fahrschulen vorzuschreiben, sondern auch die Zulassung dieser Ausbildungsbetriebe von dem Vorhandensein besonderer Kenntnisse und bestimmter persönlicher Eigenschaften der Fahrschulinhaber abhängig zu machen. Die Entscheidung hierüber müsse aber der Gesetzgeber ausdrücklich treffen (vgl. BT-Drs. V/4181 S. 13).
- Das Fahrlehrergesetz vom 25. August 1969
Aus diesem Grunde erließ der Gesetzgeber schließlich das Fahrlehrergesetz (FahrlG) vom 25. August 1969. In dessen § 9 war unter der Überschrift „Erteilung einer neuen Fahrlehrerlaubnis“ Folgendes geregelt:
„Wird nach Erlöschen (§ 7 Abs. 2), Rücknahme oder Widerruf (§ 8) einer Fahrlehrerlaubnis eine neue Erlaubnis beantragt, kann eine erneute Fahrlehrprüfung (§ 2 Nr. 5) ganz oder teilweise verlangt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die Zweifel an der fachlichen Eignung des Bewerbers rechtfertigen.“
Eine starre Zweijahresfrist für ein Prüfungserfordernis bei Neuerteilung war im FahrlG vom 25.08.1969 nicht enthalten. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. V/4181, S. 15) ist zu § 9 vielmehr zu lesen:
„Die Vorschrift ist neu. Sie entspricht dem § 15c StVZO und soll festlegen, daß für die Erteilung einer neuen Fahrlehrerlaubnis die allgemeinen Bestimmungen (§§ 1 ff.) gelten. Die früher bestandene Prüfung ist auch nach Erlöschen der Fahrlehrerlaubnis zu berücksichtigen, wenn gegen die fachliche Eignung keine Bedenken bestehen. Anlaß zu Bedenken kann allerdings auch die Tatsache geben, daß seit dem Erlöschen der Fahrlehrerlaubnis mehrere Jahre verstrichen sind und die Anforderungen an den Fahrschulunterricht sich inzwischen verschärft haben.“
Der Gesetzgeber hat also bei dem damaligen Gesetz ganz bewusst von einer starren Fristenregelung, und zwar meines Erachtens völlig zurecht, abgesehen.
- Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen vom 3. Februar 1976
Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen vom 03. Februar 1976 (BGBl I, 257 ff.) wurde erstmalig mit § 9 Abs. 1 S. 2 FahrlG a.F. eine der heutigen Regelung des § 15 Abs. 2 S. 2 FahrlG entsprechende starre Zweijahresfrist für ein Prüfungserfordernis eingeführt. Die Begründung (BT-Drs. VII/3913) dazu lautete wie folgt:
„Die Neufassung des § 9 paßt die Vorschrift über die Erteilung einer neuen Fahrlehrerlaubnis an die entsprechenden Bestimmungen des § 15c StVZO über die Neuerteilung einer Fahrlehrerlaubnis an. Außerdem berücksichtigt sie die Ergänzung des § 2, in dem sie klarstellt, dass die besonderen Anforderungen an die Schulbildung und an die Ableistung eines bestimmten Lehrgangs bei der Wiedererteilung der Fahrlehrerlaubnis nicht gelten.“
- Die Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. August 1998
Die Vorschriften der §§ 1 bis 15l StVZO wurden mit der „Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften“ vom 18. August 1998 in die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) überführt. In § 20 Abs.2 S. 2 FEV a.F. war geregelt (BGBl I 1998, S. 2214 ff., 2223):
„Ein Verzicht auf die Prüfung ist nicht zulässig, wenn seit der Entziehung, der vorläufigen Entziehung, der Beschlagnahme des Führerscheins oder einer sonstigen Maßnahme nach § 94 der Strafprozeßordnung oder dem Verzicht mehr als zwei Jahre verstrichen sind.“
- Die vierte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vom 18.07.2008
§ 20 Abs. 2 S. 2 FeV a.F. wurde schließlich im Jahre 2008 durch die „vierte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften“ vom 18.07.2008 aufgehoben. Die Aufhebung der starren Zweijahresfrist wurde wie folgt begründet (BR-Drs. 302/08, S. 63f):
„Durch den Wegfall der Frist kann die zuständige Fahrerlaubnisbehörde auch nach Ablauf von zwei Jahren auf die Fahrerlaubnisprüfung verzichten, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Das Verfahren wird hierdurch flexibler gestaltet. Insbesondere in den Fällen, in denen die Fahrerlaubnis wegen Zweifeln an der körperlichen Eignung entzogen wurde, ist nicht ersichtlich, warum der Betroffene neben der Eignung auch seine Fähigkeit zum Führen des Kraftfahrzeugs erneut nachzuweisen hat. Bestehen Bedenken an der Befähigung der Betroffenen, kann die Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen Ihres Ermessens weiterhin eine erneute Fahrerlaubnisprüfung verlangen, so dass auch hier keine Gefahren für die Verkehrssicherheit bestehen. [. . . ]“
Eine erneute Anpassung des Fahrlehrerrechts an das Fahrerlaubnisrecht, wie zuvor im Jahre 1976 mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen vom 03.02.1976, erfolgte jedoch nicht.
Vor allem im Hinblick auf Fälle wie den vorliegenden ist ein rechtfertigender Grund für die weiterhin geltenden starren Zweijahresfristen eines Prüfungserfordernisses nicht ersichtlich. Ob hier ein gesetzgeberisches Versehen oder eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers vorliegt, ist aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht erkenntlich. Die Gründe für die „Gleichschaltung“ der Regeln für die Neuerteilung von Fahrerlaubnissen mit den Regeln für die Neuerteilung von Fahrlehrerlaubnissen dürften heute wie im Jahre 1976 dieselben sein.
Dass solche starren Fristen zu unbeabsichtigten Folgen führen können, hat den Gesetzgeber offensichtlich veranlasst, diese im Bereich des Fahrerlaubnisrechts abzuschaffen. Dann muss dies im Bereich des Fahrlehrerrechts mit seinem Berufszugangs- und -ausübungsregelungen aber mindestens genauso gelten.
Wenn ein Fahrlehrer tatsächlich zwei Jahre lang (oder länger) nicht unterrichtet, mögen in Einzelfällen berechtigte Zweifel bestehen, dass die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht mehr vorhanden sind. Anders verhält es sich schon, wenn ein Fahrlehrer sich auch in der „fahrlehrerlaubnislosen Zeit“ im Fahrlehrerrecht und Verkehrsrecht trotz fehlender Fahrlehrerlaubnis fortbildet. Von nochmals anderer Qualität ist der vorliegende Fall, in welchem der Fahrlehrer tatsächlich bis zum Zugang des Bescheides der Behörde im Jahre 2020 weiter Fahrschüler ausgebildet hat und seinen Fortbildungsverpflichtungen nachgekommen ist. Das ist bis dato ein Zeitraum von einigen Monaten, rund ein halbes Jahr, in denen der Fahrlehrer seine beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten keinesfalls verloren haben kann.
Es bestehen deshalb insbesondere im Hinblick auf die verfassungsmäßig garantierte Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Absatz 1 des Grundgesetzes erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der starren Zweijahresfrist des § 15 Abatz 2 Satz 2 FahrlG.
Und weil das so ist, müsste dem Fahrlehrer auf Antrag die Fahrlehrerlaubnis ohne erneute Fahrlehrerprüfung wieder erteilt werden.