Fahrlehrer unter Generalverdacht – vorgezogene Nachweispflicht vor 2023?

Von Rechtsanwalt Dietrich Jaser, Günzburg, Juli 2021

Es ist wirklich erstaunlich. Die deutschen Verwaltungsbehörden geben sich redliche Mühe, Rechtsanwälten Beschäftigung zu verschaffen. So erreichten uns neulich behördliche Schreiben an Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis (Fahrlehrer) folgenden (oder ähnlichen) Inhalts:

Sehr geehrte(r) Inhaber(in) der Fahrlehrerlaubnis, 

gemäß § 11 Fahrlehrergesetz in Verbindung mit § 11 Fahrerlaubnis-Verordnung ist die örtlich zuständige Behörde verpflichtet, alle 5 Jahre die Zuverlässigkeit, sowie die geistige und körperliche Eignung des Fahrlehrers zu überprüfen.

Bitte legen Sie uns zu diesem Zwecke bis spätestens zum 30.06.2021 folgende Dokumente vor:

  • Ärztliche/Augenärztliche Bescheinigung (Vorlage eines Zeugnisses oder Gutachtens über die Erfüllung der Anforderungen für die Fahrerlaubnisklasse C1 über geistige und körperliche Eignung, sowie die geforderten Anforderungen an das Sehvermögen (bei Vorlage nicht älter als 1 Jahr).
  • Erweitertes behördliches Führungszeugnis (Beantragung bei Ihrer zuständigen Meldebehörde unter Vorlage des Schreibens „Aufforderung zur Vorlage eines erweiterten behördlichen Führungszeugnisses“)

Mit freundlichen Grüßen

i.A. Sachbearbeiterin

Nun ist die genaue Anzahl solcher Schreiben an die Fahrlehrerschaft nicht bekannt. Aber es steht zu vermuten, dass es zahlreiche sind. Objektiv betrachtet, vermittelt dieses Schreiben nicht nur den Eindruck einer gehörigen Portion Misstrauens in die Zuverlässigkeit der Fahrlehrerschaft behördlicherseits, sondern auch fundierte Unkenntnis der Rechtslage, so dass man sich spontan die Frage stellt: Ist es wirklich so schwer, Gesetze zu lesen?

Nun mag der Sachbearbeiterin zugutegehalten werden, dass das Fahrlehrergesetz (FahrlG) nicht gerade einen meisterlichen Akt der Gesetzgebungskunst darstellt, wie von verwaltungsgerichtlicher Seite schon bestätigt wurde. Aber wenn man seinen Mitbürgern kostenträchtige Maßnahmen abverlangt, sollte man schon etwas genauer hinschauen.

Was die Behörde vor Absetzung ihres obigen Schreibens offensichtlich unterlassen hat, holen wir an dieser Stelle nach. Die zentralen Fragen, die sich angesichts solcher Schreiben für die Betroffenen aufdrängen, sind: 

  • Müssen Fahrlehrer(innen) im Abstand von fünf Jahren nicht nur ihre körperliche und geistige Gesundheit, sondern – ohne konkreten Anlass – auch ihre Zuverlässigkeit (erweitertes Führungszeugnis) nachweisen?
  • Ist zum Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung zwingend eine ärztliche und augenärztliche Bescheinigungvorzulegen?
  • Wann beginnt die Fünfjahresfrist zu laufen und wann endet sie?

Zur Beantwortung dieser Fragen schauen wir uns zunächst die genannten einschlägigen Vorschriften an. 

Zur ersten Frage: Nachweis der Zuverlässigkeit ohne Anlass alle 5 Jahre?

Die zu Beginn des oben gezeigten behördlichen Aufforderungsschreibens genannte Vorschrift ist § 11 des Fahrlehrergesetzes (FahrlG). Dessen Absatz 1 lautet:

§ 11 Geistige und körperliche Eignung des Fahrlehrers, Prüfung der Zuverlässigkeit

(1) Der Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis muss seine Eignung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 alle fünf Jahre, beginnend mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Fahrlehrerlaubnis erteilt wurde, der nach Landesrecht zuständigen Stelle durch Vorlage eines Zeugnisses oder eines Gutachtens über die Erfüllung der von Bewerbern um eine Fahrerlaubnis der Klasse C1 geforderten Anforderungen an die körperliche und geistige Eignung und eine Bescheinigung oder ein Zeugnis über die Erfüllung der von Bewerbern um eine Fahrerlaubnis der Klasse C1 geforderten Anforderungen an das Sehvermögen, die bei Vorlage nicht älter als ein Jahr sind, nachweisen.

§ 11 Absatz 1 FahrlG regelt also die Voraussetzungen an die körperliche und geistige Eignung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 FahrlG. Deswegen müssen wir uns diese Vorschrift auch ansehen. Sie lautet:

§ 2 Voraussetzungen der Fahrlehrerlaubnis

(1) 1Die Fahrlehrerlaubnis wird erteilt, wenn

1. […]

2. der Bewerber geistig und körperlich geeignet ist, […]

Aus den beiden Vorschriften der §§ 11 Absatz 1 FahrlG und 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 FahrlG ergibt sich also nur, dass Fahrlehrer alle fünf Jahre beginnend mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Fahrlehrerlaubnis erteilt wurde, ihre geistige und körperliche Eignung nachweisen müssen. Sofern auf konkrete Tatsachen gestützte Zweifel an der Eignung auftreten, kann die Behörde das auch früher verlangen (§ 11 Absatz 3 FahrlG). Von einem turnusmäßigen Nachweis der Zuverlässigkeit ist jedenfalls in § 11 Absatz 1 FahrlG nicht die Rede.

Eine Grundlage für das behördliche Ansinnen könnte aber § 11 Absatz 4 FahrlG darstellen, der seit 1. Januar 2020 lautet:

(4) Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein Führungszeugnis nach Maßgabe des § 4 Absatz 5 verlangen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit eines Fahrlehrers begründen.

Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine sogenannte „Kann-Vorschrift“. Das „kann“ bedeutet, dass die Behörde zwar jederzeit die Möglichkeit hat, ein Führungszeugnis zu verlangen, dazu aber nicht verpflichtet ist. Voraussetzung ist jedoch stets ein konkreter Anlass. Ohne einen solchen darf die Behörde kein Führungszeugnis verlangen. Das stellt eine Änderung gegenüber der vom 01.01.2018 bis 31.12.2020 geltenden Regelung dar, nach der dies auch ohne Anlass möglich war, jedoch nur alle fünf Jahre, trotz Bekanntwerdens Bedenken begründender Tatsachen. Der von § 11 Absatz 4 FahrlG in Bezug genommene § 4 Absatz 5 FahrlG (…nach Maßgabe…) regelt die Vorlage eines sogenannten erweiterten Führungszeugnisses, das nicht älter als drei Monate sein darf. 

Unsere erste Frage ist damit mit einem „Nein“ zu beantworten: Fahrlehrer müssen ihre Zuverlässigkeit nicht anlasslos im Abstand von fünf Jahren nachweisen.

Zur zweiten Frage: zwingende ärztliche Bescheinigung?

Nachdem zwar nicht die Zuverlässigkeit aber dennoch die geistige und körperliche Eignung alle fünf Jahre nachgewiesen werden muss, kommen wir nun zur zweiten Frage. Zu deren Beantwortung schauen wir uns nun § 11 Absatz 2 FahrlG an:

(2) Der Nachweis nach Absatz 1 kann auch durch einen Führerschein mit den gültigen und nach dem 31. Dezember 1998 erworbenen Fahrerlaubnisklassen C1, C1E, C, CE, D1, D1E, D oder DE erbracht werden, sofern diese Fahrerlaubnis vor nicht mehr als fünf Jahren erworben oder die Geltungsdauer mindestens einer dieser Fahrerlaubnisklassen innerhalb der letzten fünf Jahre verlängert wurde.

Wir sehen also: Soweit der oder die Betreffende im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis der genannten Klassen ist, genügt auch die Vorlage des entsprechenden Führerscheins. Dieser kann bei Vorlage übrigens auch älter als ein Jahr sein (näher dazu: Dauer, Fahrlehrerrecht, 2. Auflage 2020, Anm. 8 zu § 11 FahrlG).

Die zweite Frage ist also ebenfalls mit einem „Nein“ zu beantworten: Es genügt auch die Vorlage eines gültigen Führerscheins der in § 11 Absatz 2 genannten Klassen.

Zur dritten Frage: Wann beginnt bzw. endet die Fünfjahresfrist?

Nun kommen wir zur Beantwortung der dritten, vielleicht spannendsten Frage. Diese beantwortet sich aus dem eingangs zitierten § 11 Absatz 1 FahrlG für diejenigen Fahrlehrer, die seit dem 01.01.2018 (Inkrafttreten des neuen Fahrlehrergesetzes) ihre Fahrlehrerlaubnis erworben haben. Dort ist geregelt, dass der Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis seine körperliche und geistige Eignung „alle fünf Jahre, beginnend mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Fahrlehrerlaubnis erteilt wurde“ nachweisen muss. Nach dieser Regelung, die 2018 in Kraft trat, kann also derfrühestmögliche erstmalige Stichtag der 31.12.2023 sein. 

Wie kommt die Verfasserin des oben zitierten Schreibens nun auf den 30.06.2021? Es steht zu vermuten, dass sie die Übergangsvorschrift des § 69 Absatz 1 Satz 2 FahrlG übersehen hat. (Und vermutlich hat der Empfänger des Schreibens seine Fahrlehrerlaubnis im Juni 2016 erhalten, so dass der – falsch berechnete – Fünfjahreszeitraum eben 2021 endete.) 

§ 69 Absatz 1 FahrlG lautet:

§ 69 Übergangsregelung

(1) 1Personen, die am 1. Januar 2018 Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis sind, gilt die Fahrlehrerlaubnis nach diesem Gesetz als erteilt; der Fahrlehrerschein nach bisherigem Recht gilt als Fahrlehrerschein nach § 10 dieses Gesetzes. 2Sie haben bis zum 31. Dezember 2023 ihre Eignung nach § 11 nachzuweisen. 3§ 54 Absatz 1 Nummer 3 gilt entsprechend. 4Ferner haben diese Personen alle vier Jahre, beginnend mit Ablauf des Jahres, in dem an der letzten Fortbildung teilgenommen wurde, an einer Fortbildung gemäß § 53 Absatz 1 teilzunehmen.

Satz 2 dieser Vorschrift besagt, dass Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis, die diese schon vor Inkrafttreten des neuen FahrlG 2018 innehatten, ihre Eignung bis zum 31.12.2023, nicht schon vorher, nachweisen müssen. 

Daraus ergibt sich auch die Antwort auf die dritte Frage: Die Fünfjahresfrist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Fahrlehrerlaubnis erteilt wurde. Sie endet jedoch frühestens am 31.12.2023. Dasgilt für Inhaber einer Fahrlehrerlaubnis, die bis zum 31.12.2018 erteilt wurde. Für Inhaber der Fahrlehrerlaubnis, denen diese in den Jahren 2019, 2020 und später erteilt wurde, endet die Frist jeweils um ein Jahr später, also am 31.12.2024, 31.12.2025 und so weiter.

Wenn eine Behörde ohne konkreten Anlass vorher dazu auffordert, ist das rechtswidrig. So auch im eingangs geschilderten Fall. Niemand muss ohne konkreten Anlass vor dem 31.12.2023 seine geistige und körperliche Eignung oder Zuverlässigkeit nachweisen. Wer dazu aufgefordert wird, sollte im Zweifel fachkundigen Rat eines auf das Fahrlehrerrecht spezialisierten Anwalts einholen.

Günzburg, 09.07.2021

Rechtsanwalt Dietrich Jaser

Kanzlei Domus Juris Jaser & Koll. – Günzburg

Telefon: 08221 – 2468-0

  • Jura-Studium in Konstanz
  • Referendariat in Konstanz, Luxemburg (Europäisches Parlament) und Günzburg
  • Rechtsanwalt seit 1997
  • Strafverteidiger seit 1998
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht seit 2003
  • Referent für Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht, Seminarleiter seit 2002
  • Spezialist für Fahrlehrerrecht seit 1999 
  • Fach-Autor beim Interessenverband Deutscher Fahrlehrer e.V.
  • Mitglied im Berater-Team beim Bundesministerium für Verkehr 
  • Mitglied der Arbeitsgemeinschaften Arbeitsrecht, Strafrecht und Verkehrsrecht im Deutschen Anwalt Verein
  • Mitglied im APRAXA Anwaltsnetzwerk 

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www.fahrlehrerrecht.com